Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott

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Cabriofahrerin
Beiträge: 24
Registriert: Do 25. Jun 2009, 14:01

Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott

Beitrag von Cabriofahrerin »

Was geschah wirklich am 26.9.1980?

2009: Der jetzige Präsident des BKA wendet sich an den ehemaligen Zielfahnder Georg Dengler, der nach 10-jähriger Tätigkeit seinen Dienst frustriert verlassen hat. Dengler soll die Akten zum größten Attentat in der Geschichte der BRD, den Bombenanschlag vom 26. 9. 1980 auf dem Münchner Oktoberfest, noch einmal untersuchen. Er erhält Einsicht in alle Akten, und mit Hilfe seines Freundes, des Journalisten Leopold Harder, kann er auch in Zeitungsartikeln aus dem Jahr 1980 recherchieren. Doch je mehr Informationen er sammelt, desto undurchdringlicher werden die Geschehnisse. Dengler fragt sich, warum man ausgerechnet ihm den Fall anvertraut hat, und warum ausgerechnet jetzt? Der Fall war doch eigentlich schon abgeschlossen und in der Versenkung verschwunden.
Wie brisant das Attentat ist, wird Dengler immer bewusster. Was geschah da 1980 auf den nationalen und internationalen Ebenen der Politik? Konnte der Anschlag etwa für manchen Politiker oder manche Partei Gewinn bringend sein?
Hinter Denglers Rücken laufen unfassbare Aktionen, von denen er selbst nichts ahnt - hier sind wir als Leser im Vorteil.
Der Verfassungsschutz bildet ein Arbeitsteam.
Gleichzeitig fühlt sich die parlamentarische Staatssekretärin Charlotte von Schmolke - dank ihres bedeutungsschweren Namens konnte sie die Karriereleiter nur herauffallen - unter Druck. Die Wahlen stehen vor der Tür. Öffentlichkeitsheischend, gleichzeitig total frustriert von ihrer Arbeit (denn man hat sie wie eine "Puppe" benutzt und ihr alles vorgekaut) muss und will sie etwas ändern ...
Das Buch ist in vielen kurzen Textsequenzen strukturiert. Orte und Personen ändern sich; dennoch verliert der Leser nie den Handlungsfaden, weil der Autor mit seinem klaren, direkten, nüchternen Schreibstil immer wieder Anknüpfungspunkte bietet. Der journalistisch berichtende Handlungsverlauf, der zeitnahe Geschehnisse wie Weltwirtschaftskrise, die Wahl Barack Obamas, ja sogar die Schweinegrippe mit einbezieht, bewirkt, dass der Leser immer mittendrin ist. Was Wolfgang Schorlau schreibt, ist präzise dokumentiert: Das kann alles nur wahr sein (also: Fiktion vom Feinsten).
Und es ist unfassbar. Denn internationale Machenschaften, die gegenseitige Infiltration von Politik, Geheimdienst und globaler Wirtschaft haben nur das eine Ziel: Jeder will seine eigenen Interessen durchsetzen, und dazu ist jedem jedes Mittel recht.
Ein beeindruckender POLIT-THRILLER: Absolut lesenswert, spannungsgeladen von der ersten bis zur letzten Zeile. TOP!
subechto
Beiträge: 557
Registriert: Mi 18. Feb 2009, 22:10

Re: Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott

Beitrag von subechto »

Der neue Chef des BKA bittet den ehemaligen Zielfahnder und heutigen Privatermittler Georg Dengler um Mithilfe: Er soll die Akten der damaligen Sonderkommission Theresienwiese über den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 prüfen.

Wie immer bespricht Dengler diesen Auftrag mit seinen Freunden Mario, Martin und Leopold. Anlässlich des Treffens in ihrer Stammkneipe machen sie die Bekanntschaft einer unbekannten Schönheit.

Im Mittelpunkt von Wolfgang Schorlaus Kriminalromanen steht Georg Dengler, ein ausgeschiedener BKA-Ermittler, der sich als Privatermittler selbstständig gemacht hat. Dennoch funktioniert dieser Krimi auch bestens als "Solo".

Fiktion oder Wirklichkeit? Geschickt mischt der Autor die Genres Kriminalroman und Politthriller. Wozu Geheimdienste fähig sind, weiß frau nicht erst seit Tim Weiners CIA.

Das München-Komplott ist Denglers 5. Fall. Gewohnt sachlich und sehr authentisch wird u.a. die Arbeit einer Staatssekretärin im Innenministerium, Charlotte von Schmoltke geschildert, insbesondere deren Spagat zwischen Partei und Privatleben.

Gut gefallen haben mir die kurzen Kapitel und die flüssige Sprache.
Ein deutscher Krimi der Spitzenklasse... absolut empfehlenswert!
Patty
Beiträge: 25
Registriert: Di 12. Apr 2011, 18:02

Re: Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott

Beitrag von Patty »

Was ist damals vor dreißig Jahren wirklich passiert? War es wirklich nur ein Einzeltäter, wie das BKA immer behauptet hat? Oder wurde damals absichtlich bei den Ermittlungen geschlampt? Georg Dengler bekommt in seinem fünften Fall den Auftrag, die Hintergründe des größten Bombenattentates in Deutschland neu aufzurollen und zu klären, ob es wirklich nur ein Einzeltäter war. Schnell erkennt er durch wiederkehrende Zeugenaussagen, die alle den Attentäter mit anderen Personen im Gespräch gesehen haben, dass damals nicht mit der gebotenen Sorgfalt ermittelt wurde. Aber fast alle Zeugen, die dies bemerkt haben, sind mittlerweile tot, teilweise unter mysteriösen Umständen gestorben oder durch ungeklärte Unfälle. Dengler nimmt die Ermittlungen auf und gerät immer tiefer in einen Sumpf aus Korruption und Geheimnissen, die besser nie ans Tageslicht kommen sollten. Aber haben wir das nicht schon immer gewusst?

Nicht nur Georg Dengler sondern auch Wolfgang Schorlau befasst sich mit den Hintergründen. Beweismaterial wird wieder intensiv geprüft und durch neue Verfahrenstechniken ergeben sich teilweise völlig neue Tatbestände. DNA war vor dreißig Jahren noch nahezu unbekannt, aber bevor der einzelne nicht zugeordnete Finger überprüft werden kann, wird das Beweismaterial komplett vernichtet. Angeblich ist der Fall kalt und nach dreißig Jahren ist es die übliche Vorgehensweise. Aber wer hatte da wohl wirklich die Finger im Spiel?

Drei verschiedene Erzählstränge laufen parallel nebeneinander her. Zum einen sind da die Ermittlungen, die Dengler mit seinen drei Freunden betreibt. Dann lernen wir die Staatssekretärin Charlotte von Schmoltke kennen, die über ihr Dasein als Staatssekretärin resümiert und feststellt, dass sie ihrem Ziel, die NPD zu verbieten, noch kein bisschen näher gerückt ist. Wir erfahren endlich auch einmal, was Staatssekretäre eigentlich für ein Aufgabengebiet haben. Und dann gibt es noch die kleinen, kurzen Kapitel, die erst scheinbar nichts mit der Geschichte zu tun haben, die von hochrangigen ehemaligen NATO Generälen handeln, die scheinbar zufällig alle gezielt ermordet werden. Natürlich lässt sich kein Täter und auch kein Motiv ermitteln, aber sind es wirklich nur sinnlose Zufälle?

Geschickt verwebt Schorlau hier Realität und Fiktion, wobei einem schon sehr eindringlich vor Augen geführt wird, was die Realität ist. Dengler und seine Freunde dienen als Mittelmänner für einen tatsächlichen Fall, sie sind das Mittel, damit das Ganze nicht zu einem Sachbuch abdriftet und durch die abwechslungsreichen, kurzen Kapitel zu einem spannenden Politthriller wird. Ihre privaten Probleme geben diesem Buch noch die besondere Würze, dadurch fiebert man nicht nur der Lösung des Falles entgegen.

Die Realität ist dafür aber umso erschreckender, das Field Manual 30-31, welches praktisch die Erlaubnis zu Terroranschlägen erteilt, wird im Anhang des Buches tatsächlich abgedruckt. Fiktion oder Realität, haben sich die NATO Generäle das wirklich ausgedacht? Oder war der Bombenanschlag eine Woche vor der Bundestagswahl nur ein geschickter politischer Schachzug – so bitter er auch geendet hat? Da die meisten Zeugen mittlerweile gestorben sind und die Beweise vernichtet, werden wir das wohl nie mehr erfahren. Schorlau wirft auch gekonnt Brocken von aktuellen politisch hochbrisanten Themen immer wieder in die Geschichte ein, diese Aktualität ist kaum zu überbieten. Dafür bringt er ein verdrängtes Stück deutsche Geschichte wieder ins Gedächtnis, denn wer kann sich noch großartig an das Attentat erinnern. Weil es immer noch totgeschwiegen wird?

Berührend ist das Treffen mit den noch lebenden Opfern des Attentats, hier wird einem richtig deutlich, dass nicht die Toten die eigentlichen Opfer sind, sondern diejenigen, die mit ihren inneren und äußeren Verletzungen weiterleben müssen.

Das Ende ist allerdings wieder haarsträubend, das erwartet man eher in einem Hollywood Streifen. Darüber kann man zwar mit einem Augenzwinkern hinwegsehen, denn die ganzen angesprochenen Themen machen es wieder wett. Politik ist ein Minenfeld, jeder belauscht jeden, jeder erpresst jeden und eigentlich handelt keiner zum Wohle der Menschheit, sondern nur für sich selber und vielleicht noch seine Partei. Alle losen Fäden werden zum Schluß verknüpft, trotzdem bleiben noch eine Menge Fragen über, aber das ist bei dem realen Attentat ja auch genauso.

Genauso interessant wie der Krimi ist auch der Anhang des Buches. Hier geht Schorlau explizit auf das Attentat, das Field –Manual und die tatsächlichen Ermittlungen ein, erläutert die Tatsachen. Es lohnt sich diesmal wirklich, über den Tellerrand hinaus zu lesen
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